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Öffentliche Bedeutung der Kreuzesdarstellung


Es läßt sich zeigen, dass eine Deutung der Kreuzesdarstellung möglich ist, die mit den Grundsätzen der Bundes- und Landesverfassung vereinbar ist und ihre Sichtbarkeit in Dienstgebäuden des Freistaats Bayern, wie sie nach § 28 der Geschäftsordnung für Behörden durch die Anordnung zur Anbringung von Kreuzen im Eingangsbereich von Dienstgebäuden ermöglicht wird, kein Grundrecht verletzt – weder die Religionsfreiheit (Art 4 GG), noch die Freiheit der Person (nach Art 2 GG). Die Klage bemüht dabei verschiedene Unterstellungen, die nicht zu rechtfertigen sind.

Es ist schon nicht richtig, dass ein Kreuz, das in einem staatlichen Dienstgebäude hängt, als Symbol einer sich dadurch abgrenzenden, partikularen Bekenntnisgemeinschaft verstanden werden muß. Dies wird weder dem Kreuzigungsgedächtnis und seinen Darstellungen allgemein noch seiner möglichen Funktion am Ort des staatlichen Dienstes für Bürger und Volk gerecht.

Die Darstellung der Kreuzigung ist schon der Form nach kein Symbol, sondern erfordert zu ihrer öffentlichen Beurteilung eine das Figurative im Spannungsverhältnis von Unantastbarkeit und Verletzung beachtende allegorische Deutung. Naheliegender ist dagegen die Bedeutung, die sie als Gedächtnis einer Würdeverletzung erhält. Dann kann, wie ich in der hier gebotenen Kürze zu erläutern versuche, ein Zusammenhang mit dem Verfassungsauftrags der Schutzpflichten hergestellt werden, wie sie Art 1 GG und Bayerischen Verfassung sich zum Grundsatz rechtsstaatlicher Verantwortung gegeben haben.

1.

Die im Grundgesetz von der Unantastbarkeit der Würde her begründete Schutzverpflichtung aller staatlichen Gewalt (Art 1.1 Satz 2 GG und Art 100.1 Satz 2 BayVerf) erfordert für den unantastbaren Geltungsgrund von Grundrechten, die Würde selbst in ihrer Verletzlichkeit im Bestimmungsgedächtnis zu halten, – und daraus entspringt unmittelbar die Pflicht, sie vor Verletzung zu schützen.

Nun ist Gegenstand des anhängigen Verwaltungsgerichtsverfahrens das angeordnete Anbringen einer Darstellung, die unschwer als Gedächtnisfigur von Würdeverletzung der menschlichen Personalität begriffen werden kann.

Die Würde des Menschen als unantastbar ist unbedingter Grund von Achtung, deren Pflicht im Gedächtnis der Verletzung nur in der wahrzunehmenden Schutzverpflichtung gegenüber einer würdeverletzenden Mißachtung erfüllt werden kann.

Die Gewährleistungspflichten der Art 1 GG nachfolgenden Grundrechte stellen im Verfassungsauftrag rechtsbegründende Bestimmungen der menschlichen Würde in ihrer personalen Form  als Geltungsgrund  ihrer verpflichtenden Anerkennung dar.

In diesem Grundverhältnis ist die menschliche Würde als personale begriffen, und darum bestimmen sich Grundrechte und Grundpflichten für den zum verfassungsgebenden Volk gehörenden Bürger wie für die stellvertretend handelnden Mandats- und Amtsträger als maßgeblich für Bewußtsein und Einsicht von Personen einander als Personen zu achten.

Das einander als Personen Achten ermöglicht die Bildung und Entwicklung der personalen Vermögen. Darum ist mit dem Begriff der Person als „Wesen, das Rechte hat“ (Kant) auch Kleinkindern oder dem vorgeburtlichen Menschenleben eine zugleich stellvertretende und für es eintretenden Achtung des Seinkönnens als Person zuerkannt. Die verfassungsgesetzgebende Beauftragung und Delegation von stellvertretend zur Gemeinschaftsbildung bestellten Abgeordneten oder Beamten wurzelt in der Personalität selbst, die die Achtung des Unverfügbaren für die Anerkennung von Grundrecht stellvertretend und als an der Stelle eines jeden anderen denkend nur als allgemeine Verpflichtungsbestimmung annehmen kann. Das Volk wird zum Träger und Auftraggeber der verfassungs- und grundrechtlich verpflichteten Staatsgewalten, indem die Menschen einander in der Konstitution der Rechtsgemeinschaft einander versprechen, sich als Personen zu achten, wie Hasso Hofmann das einmal fasste.

Die Würde des Menschen begründet die Anerkennungspflicht des Rechts auf Achtung als Person. Die verpflichtende Begründungseinsicht ist darin selbst von der Achtung getragen.

2.

Mit der Achtung des Unantastbaren der personalen Würde des Menschen muß das Verletzliche der Würde in diesen Bestimmungsgrund  aufgenommen sein, sonst kann mit der Achtungspflicht keine Schutzpflicht verbunden und die Würde des Menschen nicht im Seinkönnen von Menschen als Personen zu achten und zu schützen zum Verfassungsauftrag werden, aus dem sich die Bindung der Verfassungsorgane als stellvertretend handelnde Gemeinschaftsinstitutionen an die Grundrechte des Personseinkönnens als unmittelbare Rechtspflicht aller Staatsgewalt ergibt – und begründet.

Von hier aus läßt sich eine rechtfertigende Begründung der bayerischen Verordnung zur Anbringung von Kreuzen in Dienstgebäuden dadurch führen, daß zunächst gezeigt werden kann, ihr geistiger Gehalt ist mit dem Bestimmungsgrund der Schutzverpflichtung der Würde des Menschen als Person vereinbar.

In einem weiteren Schritt kann dann erschlossen werden, dass eine ihr Verletzungsgedächtnis einschließende Darstellung zur Achtung der Würde der Person aufruft, da sie die zur Achtung gehörende Empfinden anspricht. Eine Empfindung im Beurteilen von Recht ansprechende Darstellung ist zur Vergegenwärtigung des Verpflichtungsgrundes unabdingbar.

Eine Kreuzesdarstellung kann diese Vergegenwärtigung von Achtungsverletzung im Achtungsempfinden für die sich besinnend Betrachtenden erzeugen. Und da das Kreuz in der Kultur des Landes traditionell verankert ist, ergibt sich daraus eine Rechtfertigung für die in Frage stehende Verordnung, die sich in ihrer Begründung dem Wortlaut nach zunächst auf die Bedeutung in der „geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns“ beschränkt.

3.

Die Begegnung mit der Kreuzigungsdarstellung und die durch sie herausgeforderte Besinnung auf Bedingungen und Gründe der Achtungspflicht ist daher auch jedem Mitbürger zumutbar. Niemand wird durch deren Wahrnehmung zu etwas gezwungen oder für richtig zu halten, was er nicht selbst einsieht und im vernünftigen Gebrauch seiner eigenen Urteilsvermögen einsehen kann. Die bloße Präsenz in einem öffentlichen Raum zwingt auch nicht, dass ein jeder sich damit im Sinne der hier für die Rechtsentscheidung gebotenen Sorgfalt beschäftigen müsse.

Das Kreuz in der Eingangshalle eines Dienstgebäudes kann aber Anlaß sein, sich an den Grund der Achtungs- und Schutzpflicht zu erinnern. Ein solches sich Erinnern zu ermöglichen, gehört gewiß zu den Bildungspflichten eines in der Würdeachtung der Person gegründeten Verfassungsstaats.

Der mündige Bürger steht durch das Teilhaberecht an der Gesetzgebung und aus der Treuepflicht zur Verfassung in staatsbürgerlicher Verantwortung. Er ist in diesen Vermögen durch die verfassungsgebende Kraft des Volkes (Präambel GG) und dem Volk als „Träger der Staatsgewalt“ (Art 2 BayVerf; Art 20.2 GG) in die Gründungs- und damit Bestandsverantwortung der Verfassung einbezogen – und daraus vermag er in legitimer Weise den Schutzauftrag zu erteilen, den er nur als allgemeines, von ihm unmittelbar selbst anzuerkennendes Recht grundgesetzgebend begründen konnte.  

4.

Wie eingangs bereits erwähnt, ist es weder sachlich gerechtfertigt noch für eine aufgeklärte Vernunft naheliegend, Kreuzigungsdarstellungen auf die Funktionen eines Symbols einer partikularen Bekenntnisgemeinschaft oder einer der christlichen Kirchen einzuschränken. Die Kirche gibt es als Einheit im Widerspruch zu ihrem Gründungsanspruch real existierend ja auch nicht.

Wie in einer genaueren Darlegung sich zeigt, kann durch das Kreuzigungsgedächtnis auch keine Staatskirche begründet werden, die errichten zu wollen der Kläger – die figurative Darstellung ignorierend – die Verordnung verdächtigt und der Staatsregierung eine Verletzung des Art 142 der BayVerf vorhält. Vielmehr führt deren angemessene Deutung aus der gebotenen Beachtung der Ohnmacht eines Menschen am Kreuz zur Einsicht in die notwendige Trennung von Kirche und Staat, die sich im Verhältnis zu den staatlichen Machtbefugnisse zur Rechtsgesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zurecht geltend macht.

Ein grundrechtlicher Schutzanspruch wendet sich darum richtigerweise an den Staat in seiner legitimen Ausübung von Herrschaft durch Gesetzgebung, Anordnung und Rechtsprechung und in der Bindung an Recht und Gesetz, nicht jedoch an eine Kirche. Daß Traditionen der religiösen Kunst und Literatur eine historisch unverzichtbare Bedeutung für die Bildung des Ethos der Personalität in den neuzeitlichen Verfassungsstaaten gewonnen haben, wird staatlicherseits erkannt und geht anerkannt, wie die Bayerische Verfassung vielfältig bekundet, ein in die differenzierten Teilnahmeermöglichung zur Förderung von Gedächtniskultur und Tradition von nichtstaatlichen Gemeinschaften, Vereinen und Kirchen.

Die Kreuzigungsdarstellungen in einer Kirche oder die auf den Tafelbildnissen der bedeutenden Museen dieser Welt, die Weg- und Gipfelkreuze oder eben die Kreuze in öffentlichen Einrichtungen haben und eröffnen durchaus unterschiedliche Deutungszugänge; dass sie miteinander in einem Bedeutungszusammenhang stehen, das zu ergründen wäre eine gesellschaftlich hilfreiche Aufgabe geistiger Arbeit.   

5.  

Es erscheint argumentativ zunächst ausreichend, die Möglichkeit einer mit den Grundsätzen der Bundes- und Landesverfassung zusammenstimmenden Deutung aufzuweisen, ohne dabei vorauszusetzen, dass ein jeder sich ihr anschließt, wenn auch der Gemeinsinn ein sich Überzeugenlassen für jeden besonnen die Begründungsfigur der Schutzverpflichtung bedenkenden und der Bedingungen seiner Reflexions- und Beurteilungsvermögen so sich bewußt werdenden Menschen antizipiert.

Gestellt ist der Mensch mit dem Kreuzesgedächtnis vom Grund her in keine andere Herausforderung als die das Grundgesetz mit Artikel 1 und die Bayerische Verfassung, ihn aufnehmend, in Art 100 als Verpflichtungsbestimmung aller staatlichen Gewalt zum bindenden Grundsatz macht, dessen unbedingte Geltung dem gemeinsamen, personal verantwortbaren Willen des vereinigten Volkes entspricht.