I.     Bedeutung der Kreuzigungsdarstellung für die Würdeachtung der personalen Vermögen         

Die Figur des Gekreuzigten ist als König gezeichnet und als machtloser Mensch in die allgemeine Beachtung gehoben. Damit wird die Würde des Menschen als Person als Königswürde in ihrer äußersten Entwürdigung figuriert.

Die Kreuzigung erinnert als dessen Resultat einen Gerichtsprozesse, der einen Menschen der Verachtung und Verspottung und öffentlichen Verletzung preisgibt. Mit dem Königlichen Vermögen von Gesetzgebung und Rechtsprechung wird deren ursprüngliches Maß zum Beurteilungskriterium menschlicher Urteilsentscheidung dem Menschsein und führt geistesgeschichtlich zur Bildung der Achtungspflicht und zum Grundsatz der Unantastbarkeit aus dem Gedenken an die Verachtung der Königswürde seiner Person.

Die Schutzverpflichtung im Grund alles personalen Rechts muß das Gedächtnis der Würdeverletztheit im Bestimmungsgrund ihres Auftrags wahren.

1.

a) Dornenkrone

Eines der die Deutung der Kreuzigungsdarstellung entscheidend leitenden Elemente ist die Krone als Zeichen des Königlichen, die aus Dornen geflochten ist und auf das Haupt gedrückt blutende Verletzungen verursacht (vgl. das Bild von Tizian in der Alten Pinakothek, München). Das Gekröntsein des menschlichen Hauptes mit Dornen verleiht dem Bildnis den Ausdruck des Geschlagenseins mit dem Königsamt durch Zuschreibung und seine Verachtung in einem. Geschmäht wird der König des Volkes, dass er als der Gekreuzigte nicht jene von den Schächern einem König unterstellte Macht habe, herabzusteigen und sich von den Quälenden und ihn Mißhandelnden selbstmächtig zu befreien.

b) Inschrift

Die vom Statthalter des römischen Kaisers als Richter angebrachte Inschrift, die den Anspruch eines Königs für sein Volk als Verurteilungsgrund festhält, transportiert diese als Anmaßung verworfene Bestimmung des Königtums durch die Darstellung in das tradierte Gedenken, die sich darin mit dem Menschlichen in der Ohnmacht verbindet.

c) Ohnmacht und allegorische Dissoziation der Königsfiguration

Aus beidem ergibt sich eine figurativ dem Menschen in seiner Ohnmacht zuerkannte Königswürde, die als verachtet einen Widerstand im (beurteilenden) Empfinden gegen die Verachtung und Verletzung hervorruft. Denn das Maß der Gerechtigkeit und des Rechts ist mit dem (aus den begleitenden Erzähltraditionen erinnerten) Gerichtsprozess und der Verurteilung für das beurteilende Empfinden aufgerufen, durch das Bild des entwürdigend Bestraften in Geltung gebracht und so wird das Behandeln und Verurteilen selbst als ungerecht und unwürdig empfunden und kann zur Einsicht werden, wenn man sich darauf besinnt, dass das Königliche das Gesetzgebende und Rechtsprechende für die Rechtsgemeinschaft seines Volkes ist.

Wir sprechen vom Königtum seiner Idee nach, nicht wie es von irdischen Königen in der Ausübung von Macht historisch ausgefüllt wurde.

Die Schächer vertreten das Volk als Königsmacher, das einen Menschen erhöht, nicht durch einen Thron durch das Kreuz, indem sie ihn auf verletzende Weise mit den Insignien der Königswürde ausstatten. Dieses Tun wird als würdeverletzend begreifbar. Damit wird ein würdeverletzendes, stellvertretend für das Volk gezeigtes Handeln selbst als unwürdig gekennzeichnet. Das Verhältnis des Volks zum königlichen Auftrag und dessen Bedeutung für die Einheit des Volkes wird selbst als beschädigt erkannt und seine Verkehrung wird für das beurteilende Empfinden begreiflich. So läßt sich nachvollziehen, wie die Tradition des Kreuzigungsgedächtnisse die Bildung von Achtungs- und Schutzpflichten geistesgeschichtlich bis in die Verfassungsgesetzgebung hinein herausgefordert hat.

Vor Gericht stand, so wird deutend erkennbar, die Person unter der Bestimmung königlicher Gerechtigkeit dem Menschsein als solchem gegenüber, dessen Maß und Würde nicht von einer Gewaltmacht abhängig sein kann.

Vor dem durch Menschen ausgeübten Gericht und seinem beurteilenden Maß ist das Königliche, das den Anspruch der Fürsorge für Recht und Gesetz vertritt, jenem  Gerichtsurteil und dessen Strafverhängung unterworfen. Durch dieses Unterworfensein dessen, der die Idee des Königtums des Gerechten verkörpert, wird dieses Richten mit der Maßgabe seines eigenen Rechtsvermögens konfrontiert in seinem Verachten und Verletzen als ungerecht erkannt.  

Als gerichtet wird für das teilnehmende Urteil der ihrer Gedenkenden fasslich, dass hier  das königlich würdige und gerechte gesetzgebende und rechtsprechende Vermögen als ein allgemein menschliches der Verurteilung unterworfen ist. Wird das es Richten als sein eigenes Maßgabe verurteilend, verachtend und tötend erkannt, wendet sich in diesem Erkennen das Gerechtigkeitsgefühl sich zur Erneuerung des maßgeblichen Rechts.  

Da das Gedenken aus der Darstellung im Gerechtigkeitsgefühl selbst beurteilt, bestimmt sich seine in ihren Wurzeln berührte Urteilskraft aus der gegen die als Ungerechtigkeit empfundene Ungemäßheit zur Erneuerung der maßgeblichen Geltung von Recht und Gerechtigkeit. Die Kreuzigungsdarstellung entfaltet so rechtsgeschichtlich ein vom Gerechtigkeitsempfinden getragenes reformatorisches Potential in den Staaten und Völkern, in deren geistiges Leben es hineinreicht.  

Mit dem allgemein Menschlichen des dornengekrönten „Ecce homo“, wie der als Richter fungierende Statthalter des römischen Imperiums, Pilatus, den zur Verurteilung vor ihn Gestellten ausweist, wird der König seines Volkes zur Figur jenes der Gerechtigkeit selbst dienenden Knechts, der „den Völkern das Recht bringt“(vgl. die Gottesknechtslieder im Buch Jesaia).

2.    Ohnmacht im Bestimmungsgrund der Achtung  

Der gefolterte, mißhandelte und in Verachtung seiner Würde gekreuzigte und getötete Mensch wird in äußerster Ohnmacht dargestellt. Das Königtum, das hier entwürdigend zugleich bezeichnet wird, entspringt keiner weltlichen Übertragung von Macht, sondern macht den Unterschied sowohl zum militärischen  Befehlshaber des imperialen Kaisers als auch zur militärischen Gewalt des Aufstands gegen die römische Besatzermacht mit dem Wort deutlich: „Mein Königtum (basileia) ist nicht von dieser Welt.“ An diese Bedeutung des Königstums erinnert die Inschrift über dem krönend geschundenen Leib.

Durch diese äußerste Ohnmacht, entkleidet jeden Privilegs oder Macht, selbst Herrschaft auszuüben, kann die dornengekrönte Figur eines Menschen auf das personal Menschliche schlechthin bezogen werden. Jenes ursprüngliche Königtum, das sich nicht der Entscheidungsmacht weltlicher Gewalt und nicht dem Nutzen- oder Vorzugsdenken einzelner Menschen oder Gruppen verdankt, kann sich mit dem Menschlichen dort vereinen, wo es des Schutzes vor der Entmenschlichung durch Verletzung personaler Vermögen bedarf. Wahrnehmbar für jeden einzelnen Menschen, kann es durch keinen einzelnen allein gewährleistet werden.i

Initiiert wird dies mit der verachtend gemeinten Zuschreibung und Eingravierung von Würde-Insignien der Königsmacht in die Figur und an den Körper des völlig machtlos der menschlichen Verurteilungs- und Behandlungsmacht preisgegebenen Menschen.

Von den Insignien des Purpurmantels und des Rohrs als Zepter bleibt im Bild des Gekreuzigten nur die Dornenkrone. In dieser blutenden Krönung nimmt die Bildtradition der abendländischen Kunst auch den „Ecce homo“ auf, erkennend, dass in dieser verletzenden Königlichmachung dem leidenden, mißachteten Menschen etwas Königliches eingezeichnet ist, das im Verletztwerden und verachtet Sein empfunden und als maßgeblich für alles Gerechtigkeitsempfinden erhalten wird. (siehe Auswahl an Tafelbildern aus der Alten Pinakothek, München im Bildteil der Anlage).

3.

Wir sehen uns durch die Kreuzesdarstellung herausgefordert eine aus der Ohnmacht des Ausgeliefertseins dem menschlichen Gericht sich erzeugende Verpflichtung das menschliche Rechtsprechen und Gesetzgeben an die Aufgabe der Wahrung jener Vermögen und Bedingungen des Personseins zu binden, die im Verletzungsgedächtnis seiner Königswürde als Bedingungen von Recht und Gerechtigkeit überhaupt erkannt werden.

Mit dem an das Gedächtnis der Verletzung gebundenen Begriff der Würde der Person wird die Grundbestimmung des Begriffs des Rechts von je positiv entscheidender Herrschaftsgewalt, was als Recht zu gelten hat, unterschieden und ihr gegenüber zu maßgeblicher Geltung gebracht.

Durch die Bindung allen Rechts an das Ethos der Achtung der Würde des Menschen als Person vollzieht in der geschichtlichen Konsequenz dieser Gegenwendung zur als Widerfahren ins Gedächtnis gezeichneten Würdeverletzung der Rechtsvermögen das Grundgesetze der BRD eine in der Bewußtseinsbildung der Verfassungsverantwortung  sich vollziehende Kritik an rechtspositivistischen und die Kriterien der Sittlichkeit vergessenden, politisch pragmatischen Tendenzen in staatlicher Gesetzgebung und Rechtsprechung.

(In der Anlage 3 wird von Kant her darlegen, wie das Teilhaberecht an der gemeinschaftlichen Rechtsgesetzgebung in Rücksicht auf die Vermögen der – gemeinschaftsbildenden – Befolgung (in rechtsbeurteilender Anwendung der als selbstgegeben jeden Bürger als Person bindenden Gesetze) sich aus dem Sittengesetz begründet.)

II.     Bedeutung der Kreuzigungsdarstellung für die Bildung der Gerechtigkeitsvermögen der Person in gesetzgebender Vernunft und rechtsprechender Urteilskraft

1.    Ecce homo - Seht hier, der Mensch.

Der Mensch am Kreuz weist durch das Darstellungsgedächtnis auf das Anwesen des Heiligen im Menschen hin und – als unbedingter Achtungsgrund – auf die Schutzpflicht als Gemeinschaftsaufgabe. Darum steht das Königtum in eines für die Personalität der Würde eines jeden Menschen wie der Gemeinschaft, die aus dem selben Bestimmungsgrund und Maß die beauftragten Vertretungsorgane zum Schutz gegenüber der Würdeverletzung verpflichtet.

Die staatlichen „Würdenträger“ erhalten ihr Ehrenzeichen und rituelle Achtungsbezeugungen (wie das Aufstehen beim Eintritt des Gerichts) aus der Anteilnahme am verpflichtenden Grund der Würde selbst, deren Personalität sich in den durch sie vertretenen Personalitätsformen der Gemeinschaftsinstitutionen (in der Rechtsform juristischer Personen) im Verfassungsleben eines als Achtungs- und Anerkennungsgemeinschaft sich bestimmenden Volkes ausgestaltet.

Daß die Amtswürde die Personenwürde figuriert und ihren Darstellungen sich die Sorge aus Verantwortung für Staat und Volke einzeichnet, läßt sich in der bildenden Kunst - wie den Spätrömischen Kaiserporträts – und der Dichtung auf vielfältige Weise aufnehmen und belegen.

Der Krone des Gekreuzigten wird, die Szene des Ausgestelltwerdens vor dem Volk erinnernd, zum Zeichen eines Königtums, das sich aus der Bildsprache dem Haupt als Träger der geistigen Orientierungs- und Entscheidungsvermögen in der Handlungsverantwortung der Lebensführung eines jeden Menschen einprägt. Die Verletzung tangiert, worauf der Mensch in der Führung des Lebens und der Entscheidung, was gut und recht ist, unbedingt angewiesen ist.

2.    Dargestellt allen Menschen

Bild, Wort und Darstellung tragen in den sich durch sie bildenden kollektiven Gedächtnissen die Verletzungen fort. Das macht es schwer, den Anblick zu ertragen. Ohne das als unerträglich empfundene Verletzungsgedächtnis kann aber die Würde nicht als Grund der Schutzpflicht des Rechts begriffen und als das unbedingt zu Achtende nicht öffentlich bestimmt und dargestellt werden. Das öffentliche „Ausgestelltwerden“, das die Darstellungsgedächtnis geschichtsoffen fortträgt, ist signifikant für die Bedeutungsart des Würdebegriffs als Grund von Menschen zur Achtung und zum Schutz verpflichtendem Recht.

Das Gemüt wird im Achtungsempfinden durch die Würde selbst als Bestimmungsgrund berührt, die im als ertragen dargestellten Geschehens vernichtet, für den empfindend Wahrnehmenden aber unverlierbar ist, weil es dasselbe Vermögen ist, das in der Darstellung seiner Verletzung aufgerufen ist und mit der Kritik am entwürdigenden Handeln einer verurteilenden Macht die eigene Urteilskraft als Mensch so ausübt, wie sie ihr Maß und Kriterium, was in Wahrheit würdig und recht ist, allen Menschen in ihrem Personsein ansinnt. (→ Bestimmung in die Nachfolge).

Es ist die Ohnmacht im Erleiden selbst, das mit seiner Gedächtnisstgiftung der Verachtung widersteht.

Der aus dem Erinnerungsempfinden herausgeforderte Geist sieht sich selbst bestimmt und bekräftigt, das dem Unrecht und der Verachtung widerstehend Recht zum herrschenden Gesetz werden zu lassen, das sich grundlegend zu Achtung der Königswürde des Menschen verpflichtet.  

Die den Geist in Besonnenheit und Handlungsmut ansprechend und so die ansprechbaren Vermögen des Geistes achtende Darstellung gibt zugleich die Möglichkeit, da der eines Todes bildhaft Gedenkende nicht selbst stirbt, durch die Figur des „Einstehens für“ die darin als verletzt und beschädigt und vernichtet erkennbar werdenden Führungs- und Bestimmungsvermögen (von Gesetzgebung und Beurteilung von Recht) selbst auszuüben; denn im Deuten eines Verurteilungsgeschehens sind die Vermögen seiner rechtliche Urteilskraft und die Beurteilung gerechter Gesetze in den Kriterien ihrer Anwendungen aufgerufen und damit sie anerkennend geachtet.ii

Der im Achtungsempfinden die dargestellte Mißachtung als Würdeverletzung – in beurteilend empfindungs- und gedächtnisgetragener, haltungsausrichtender Einsichtsbildung - Wahrnehmende bestimmt sich (im Ethos der Achtung) aus diesem begreifenden Erkennen des Verletzungsgeschehens  zum Schutz der in ihm selbst in Anspruch genommenen Vermögen, die im vergegenwärtigt Vergangenen verletzt sich zeigen und so aus Achtung die Handlungsbestimmung auf den Schutz gegen zukünftige Verletzung – grundgesetzgebend und Kriterien des Rechts weisend – ausrichtet.

Der Mensch wird aus dem gewahrten Darstellungsgedächtnis der verletzten Königswürde von Personalität je selbst zum königlichen Gesetzgeber in Schutzverpflichtung der personalen Würde des Menschen, darin sie sich teilhabend begreifen an einer aus Achtung im Gedenken der Verletzung sich verpflichtenden Schutzgemeinschaft.

Diese nur aus der gedächtnis- und begriffsgetragenen Verbindung von ursprünglichem Würdegrund des Heiligen und Königlichen der Person und der personalen Gemeinschaft mit dessen Verletzungsgedenken bildet sich jene sittliche, das gemeinschaftliche Recht gründende Einsicht, die in den Rechtspflichten zur Anerkennung von Recht begründenden Grundsatz mündet und für die unveränderliche Grundordnung der Verfassung den sie tragenden Bestimmungsgrund zu erkennen gibt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung“ - nicht nur aller Staatsgewalt, sondern jedes Menschen als Person im Ethos der Sittlichkeit und des Rechts. Dieser sittliche Bestimmungsgrund von Personalität wird mit der Königswürde des Menschen angesprochen und durch die Darstellungen zur achtungsbildenden Einsicht gegeben.

2.     Gekommen zu dienen: das Königtum als Bindungsgrund der Rechtspflichten

Der leitende, selbst als unantastbar für jeden gesetzgebenden Willen geltende Grundsatz der Verfassung nimmt mit dem „unantastbar“ der Würde und dem „unverletzlich“ der Freiheit der Person Attribute des Königs auf, der im aufgeklärten Staatsverständnis sich als erster Diener seines Volkes begriff. Das Preussische Landrecht konnte erklären: „Die Person des Königs ist unverletzlich.“

Die Erkenntnis der Würde als Grund von Achtung und Schutz kann sich nur in der Achtung mit Bestimmung zur Schutzpflicht als Begründung des Rechts auf Achtung und Schutz ergeben.

Als nicht von dieser Welt (siehe oben I.2) wird das Königtum der personalen Würde des Menschen in von seiner Achtung her sich bestimmt begreifender Gemeinschaft (des Gottesbundes als sich in Achtungspflicht des Heiligen bindenden Bundes der Heiligen Gottes) als ursprünglich und unbedingt zu achten jeder Verfügbarkeit entzogen erkannt.

Mit dem Sittengesetz des Art 2.1 kommt diese Einsicht, einen Verfügungswillen personalen Vermögen gegenüber abzuhalten, zur rechtsbedingenden Geltung. Das sittliche Gebot, 'Handle so, dass du die Menschheit in der Person eines jeden Menschen nie nur als Mittel gebrauchst, sondern immer als Zweck an sich selbst achtest,' verpflichtet zu Selbstgemäßheit im Verhalten zu jedem ausgeübt werdenden oder durch Gebrauch tangierten Vermögen.

Als Grundsatz bestimmt das Sittengesetz alle Rechtsgesetzgebung und teilt deren Verantwortung Kriterien des unbedingt zu Achtenden mit. als Imperativ kategorisch formuliert, fungiert es für das Rechtsbewußtsein auch als „kategorischer Rechtsimperativ“, der die Gesetzgebungsvermögen der Vernunft aber an Kriterien der rechtsprechenden Urteilskraft bindet, die das Grundsatzgebot im „Handle so, dass ...“ in Anspruch nimmt. Die Kriterien der Gesetze anwendenden Urteilskraft sind aber von eigener Art und können nicht ihrerseits wiederum nur „gesetzt“ sein, nicht als Gesetze die Gesetzesanwendung regeln.iii

3.       Gerechtigkeit selbst als Maß im Beurteilungsvermögen

Die Kreuzigung ist Resultat eines Gerichtsverfahrens, das unter dem Maß von Recht und Gerechtigkeit steht.

Richard Scheffler hat darauf aufmerksam gemacht, dass hier das unantastbare Maß der für alles menschliche Beurteilen geltenden Gerechtigkeit selbst zum Gegenstand der ihr gegenüber ausgeübten Urteils-, Entscheidungs- und (verwerfenden) Verurteilungsmacht gebraucht worden ist. Das Heilige des Königtums des zum Tod am Kreuz Verurteilten gehört zu dessen Sendung „um der Gerechtigkeit willen.“

Es ist keine Pflicht um der Pflicht willen, sondern eine Pflicht um der Gerechtigkeit willen, die Bedingung und Kriterium jedes selbstgemäßen Pflichtbewußtsein ist: eine Person kann nicht zur Ungerechtigkeit sich verpflichtet begreifen, ohne einen Widerstreit in das Verhalten ihre Vernunft- und Urteilsvermögen einzutragen.

Diese Haltung des Einsatzes für die Gerechtigkeit selbst entspricht der Pflicht, Gerechtigkeit als Maß in der Achtung ihrer selbst anzunehmen, und als Bedingung und  Zweck in allem ihr entsprechenden Handelungsentscheidungen, die für andere gelten können sollen, anzuerkennen.

Das der Gerechtigkeit als solcher verpflichtete Handeln zeigt sich darum – und hierfür ist die Ohnmacht des für die Gerechtigkeit als Idee und Maß einsetzenden „Menschheitskönig“ (Menschensohns = Sohn des Menschheitskönigtums) entscheidend – als ein gerechtmachendes, die Vermögen zum Gerechtseinkönnnen dabei schon für alle, die es tangiert, in Anspruch nehmendes und sie zu bilden ermöglichendes „gerechtmachendes“ Gerechtigkeitshandeln. Dass es kein instrumentelles Machen ist und sein kann, sondern zur Würdeachtung der Personvermögen gehört, zeigt die Art des aufopferungsvollen Einsatzes und seiner Unterscheidung von Gewaltmacht, die der Gerechte nicht selbst hat, aber ihr sich unwillkürlich aussetzt, da er das Maß der Gerechtigkeit den Gerechtigkeitsmacht in der Rechtsprechung ausübenden Personen in Institutionen oder im Volk geltend macht. Die Berufung in die gerechtmachende Gerechtigkeit kann nicht durch übermächtigendes und nicht durch täuschend nur überredendes Handeln erfüllt werden; es würde die Ermöglichung der Vermögen zur Gerechtigkeit notwendig verfehlen.

Das Kreuz wurde so auch theologisch zum Bestimmungsgrund der Kritik an kirchlicher oder religionsgemeinschaftlicher, mit der Staatsmacht sich vereinenden oder mit ihr in Konkurrenz als Gewaltmacht tretenden Macht.

Zur (grundrechtlich zu schützenden) Freiheit als personales Vermögen gehört sowohl die Achtung der Wahrheit wie die Achtung der Gerechtigkeit als das Gemeinschaftsverhalten von Personen leitende, Unabhängigkeit der Willensbestimmung ermöglichende Maß.

4.    den Völkern das Recht

Die gerechtmachende Gerechtigkeit vertritt ihre Idee denen gegenüber, die des Gerechtwerdens durch Bildung ihrer Gerechtigkeitsvermögen bedürfen, und es kann darum das damit repräsentierte Maß nicht schon in Geltung deren Urteilskraft im Erkennen leiten. Sie, die in Selbstwiderstreiten verstrickt des Maßes zur Bildung ihrer Gerechtigkeitsvermögne bedürfen, verkennen den für die Gerechtigkeit selbst als Maß und Bestimmungsgrund sich einsetzenden Gerechten unweigerlich. Der die Gerechtigkeit selbst im Maß der Gerechtigkeitsvermögen repräsentierende Gerechte wird unweigerlich im Anspruchsmaß, das er für die ungerecht handlenden Menschen vertritt, verkannt und als anmaßend beurteilt. Er setzt sich unausweichlich der Verachtung und Verspottung aus.

Allein die Darstellung der Verkennung unter dem Anspruch des Einsatzes für die als ihre zur Geltung kommende Gerechtigkeit wendet das erinnernde Vernehmen in eine Anerkennen. Mit dem Vernehmen der Verletzung des Gerechtigkeitsmaßes selbst (im Empfinden der Verurteilung als Ungerecht und der Folterung und Kreuzigung als entwürdigend) wird dessen Geltung als unbedingt zu achten in die Geltung gerufen: die Darstellung und das mit ihr in Erinnerung gerufene Geschehensgedächtnis kann für die hörend Erinnernden und Betrachtenden jene Bildung von Gerechtigkeitsvermögen leisten, die nun erst zur nachfolgenden Erneuerung der Gerechtigkeitskultur unter den Völkern kommen und das Recht in Annahme der Gabe seiner Idee verfassungsgesetzgebend in es achtende und anerkennende Geltung zu bringen den Völkern ermöglicht.

5.    denn sie wissen nicht, was sie tun

Das Kreuz verhängt kein Gericht, sondern ist Gegenwendung zum menschlichen Gericht, das die Rückbesinnung auf das ursprünglich maßgeblich Gründende vergisst und glaubt, selbst bestimmen zu können, was der Mensch als Maß von Gerechtigkeit und Recht anzunehmen hat (in Beherrschung von Willkür als Bestimmung des Willens).

Das Ethos des Gedächtnisses der Würdeverletzung bestimmt das Gerechtigkeitsempfinden zur Durchbrechung des Verhängniszusammenhangs von Vergeltung und Gegenvergeltung.

Die begleitende Passionserzählung zeigt die Entsprechung aus dem Maß der in Einheit mit der Idee der Wahrheit befreienden Gerechtigkeit.

Gerecht kann die wahre Gerechtigkeit nur machen, wenn der Einsatz für sie keine Schuldzuweisung an andere gibt, sondern für sie um Vergebung von Schuld bittet, ganz im Sinne des Durchbrechens des Verhängniszusammenhangs von Schuld der Verletzung und vergeltend verletzender Strafe: so kann sich das Vermögen, um gerecht sein und werden zu können, nicht berichtigen und nicht bilden. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lukas 23.34)  –

Es sind grundlegende sittliche Weisungen, die in deutender Besinnung aus dem Gedenken der Kreuzigung aufgenommen werden können: Vergebung von Schuld zur Versöhnung und die erlösende Sühne von Verfehlung in ihrer Umkehr als Weisung. iv

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i
Die verfehlte Hoffnung auf einen Weltenkönig, der siegreich selbst die oberste Stelle von Macht und Herrschaft in der Welt einnimmt, setzt die Verkennung nur fort. → dagegen: Majestas Domini in „Kanonische Exegese“

 ii
Theologisch: Darstellungsbedingtes Anwesen als Geist des Werks in Herausforderung der Trägerschaft durch je die Person – Geist als Wesen des Göttlichen im Werk und als Person in der Trägerschaft durch Menschen in und für die geistige Gemeinschaft, grundlegungswerk-bildend.

iii
Das ließe sich beispielsweise in einer Kritik an Kelsens Konstruktionsversuch von Rechtsgeltung in seiner Reinen     Rechtslehre durch eine Hierarchie von je allgemeineren Normen     zeigen: die Kriterien der Rechtsprechung können aber nicht den     Prinzpien der allgemeinen Gesetze untergeordnet werden. In der     Rechtsprechung sind die Prinzipien des Rechts und der Gerechtigkeit     in ihrer kriteriellen Bedeutung leitend. Nur von ihnen her ist  allererst eine Beurteilung von Rechtsgesetzen als Recht möglich.     

Die von Kelsen gesuchte und nur zum Zweck des Geltungsabschlusses  postulierte, nicht mehr bestimmt formulierbare „Grundnorm“ kann für die Begründung von Rechtsordnung überhaupt nur in einer alle ihre sich gliedernden Vermögen und Organe durchziehende Gemeinschaft von einander bedingenden und in ihrer Geltungskraft ermöglichenden Prinzipien gefunden werden.

Das unvermeidliche Scheitern (jeder rechtspositivistischen Begründungsversuchs von Recht) wird damit auch durch die methodische Verfehlung hervorgerufen, die Begründung von Rechtsgeltung ohne die überzeugungsfähige Bestimmungarbeit des     Begriffs des Rechts – theoretisch-logisch, ohne     Teilhabeverantwortung an der verfassungsgebenden Kraft des Volkes     und der Bildungsverantwortung in ihm für sie

Im Ansatz zeigt sich das Rechtspositivistische Denken begründungsfeindlich und widerstreitet dem Grundgebot     rechtsstaatlicher Rechtsentscheidung: sie muß öffentlich begründet     werden.

iv    

 → Begriff des Geistes, theologisch, in darstellungsbedingtes Anwesen als Geist des Werks in Herausforderung der Trägerschaft durch je die Person zu vernehmen – Geist als Wesen des Göttlichen in der Seinsweise durch Werke und als Person in der Trägerschaft durch Menschen in und für die geistige Gemeinschaft, Grundlegungswerk und -weisung bildend.